ZERKNITTERTE WAND
Ort: Bundesrealgymnasium Kufstein
Fertigstellung: 2012
Fotografien: David Schreyer
initiiert von BIG Art
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Eine Wand, die die dahintergelegene Glasfassade beschattet, ist wie ein zerknittertes Blatt Papier ausgeformt. Dieses in Schulen gängige Material wird dabei sozusagen aus den Innenräumen herausgezoomt und als Teil der Architektur in den Außenraum transformiert. Die Wand ist in Beton ausgeführt und ist als skulpturales Element ausgebildet, bei dem das Innen und Außen in enger Beziehung steht. Sie fungiert als Schnittstelle zwischen Schule und Park. Der Blick von Innen auf die Zerknitterte Wand erzeugt eine besondere Atmosphäre, wirkt inszeniert und durch das einfallende Tageslicht dynamisch reflektierend. Mit diesem in die Architektur integrierten Bauteil entsteht zum einen ein Superzeichen für die Schule, sowie ein prägnanter städtebaulicher Baustein, der die topologische und kulturelle Identität der Stadt Kufstein auf neue Weise weiterführt.
(Zerknitterte Wand, 2011 / Realisierung 2012; Sichtbeton, 1550 x 1200 cm; Bundesrealgymnasium Kufstein, Tirol; Architektur: Johannes Wiesflecker)
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Kunst und Bau in kongenialer Symbiose
An Assoziationen mangelt es auch flüchtigen Betrachtern nicht: Ein zerknülltes Blatt Papier, wie es wohl tausendfach im Lehrer- und Schülerleben vom Schreibtisch in den Papierkorb wandert, manchmal vielleicht auch wieder glattgestrichen wird, ist eine nahe liegende Interpretation. Ebenso drängt sich am Fuße des Kufsteiner Festungsberges der Gedanke an eine Felsformation, die manche gern mit Griffen ausrüsten und als Kletterwand verwenden würden, auf. Dem Künstler Karl-Heinz Klopf sind diese Auslegungen seiner Arbeit an der Südostfassade des neuen Zubaus zum Kufsteiner Bundesgymnasium nicht unrecht. Im Gegenteil, die Idee des zerknüllten Papiers – der Transformation eines glatten Blattes in eines mit Oberflächenrelief war sein wichtigster Ausgangspunkt bei der Konzeption seines Wettbewerbsbeitrages. Aus der zweidimensionalen Ebene wird ein dreidimensionales Objekt, es erhält eine neue Anmutung und Bedeutung. Es steht als Metapher für das Lernen durch kreative Prozesse, für das Verwerfen von Ideen und den Neubeginn.
„Mit diesem in die Architektur integrierten Bauteil entsteht zum einen ein Superzeichen für die Schule, sowie ein prägnanter städtebaulicher Baustein, der die topologische und kulturelle Identität der Stadt Kufstein auf neue Weise weiterführt.“ So begründete die Jury des von der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) ausgelobten Kunstwettbewerbes die Entscheidung für das Siegerprojekt und spricht damit drei wichtige Kriterien an, die bei künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum immer ein Glücksfall sind: Zum einen die Integration in die Architektur. Nicht immer ist es möglich, die KünstlerInnen in einer frühen Bau oder gar Planungsphase miteinzubeziehen. In diesem Fall boten sich diesbezüglich Idealbedingungen. Schon in seinem Beitrag zum Architektenwettbewerb hat Hannes Wiesflecker darauf hingewiesen, dass diese Wand ein Ort für eine künstlerische Intervention sein könnte. Dann die städtebauliche Prägnanz und der Beitrag zur Identitätsstiftung auf topologischer und kultureller Ebene: Das 1907 als k.u k. Staatsrealschule in Betrieb gegangene Gebäude in der Schillerstraße ist nach wie vor ein bedeutender Schulstandort für den Bezirk Kufstein. Das Bestandsgebäude im Heimatstil mit einer noch gut erhaltenen Innenausstattung im Jugendstil stammt vom Stuttgarter Architekten Willy Graf und steht unter Denkmalschutz. Im Jahr 1978 wurde es nach einer Planung von Prachensky, Heiss und Partner erweitert. Steigende Schülerzahlen und neue Anforderungen an das Raumprogramm bedingten eine Sanierung und Erweiterung. An die hochwertige baukünstlerische Qualität des Bestandes anzuschließen, Architektur und Kunst eins werden zu lassen und mehr anzubieten als bloß funktionelle Räumlichkeiten ist schon aus diesem Grund geradezu geboten. Zentral und nah am weithin sichtbaren Landmark und Wahrzeichen der Stadt, der Festung, gelegen, ist die Schule ein wesentlicher Teil des Stadtbildes. Ihre kulturelle Bedeutung – historisch wie gegenwärtig – auch nach außen sichtbar zu machen, verfestigt ihren spezifischen Stellenwert ebenso wie den von Schule im Allgemeinen. Die gleichzeitige Präsenz der Kunst innerhalb der Klassenräume wiederum verschafft den Schülerinnen und Schülern wie dem Lehrpersonal ungewöhnliche Raumerfahrungen im Alltag.
Architekt Hannes Wiesflecker hat mit der im Abstand zur südöstlichen Fensterfassade gesetzten Wand bewirkt, dass die in von zwei Seiten belichteten Klassen vor der direkte Südsonne geschützt sind. Das von oben in den Luftraum eindringende und vom Wandrelief reflektierte Tageslicht erzeugt je nach Witterung ganz besondere Stimmungen. Das Kunstprojekt konnte wie erwähnt von Anbeginn mit dem Gebäude mitwachsen und wurde konstruktiv in enger Zusammenarbeit von Künstler und Architekt bewältigt. Es erforderte sowohl den Einsatz avancierter Technologien als auch handwerkliches Know-how. Die Schalungselemente aus beschichtetem Styropor wurden auf Basis eines 3-D-Scans eines zerknüllten DIN-A4 Blattes mittels CNC-Fräse von einer niederösterreichischen Dekorationsbaufirma produziert. Die aufwändige Bewehrung der beidseitig unregelmäßig reliefierten Wandscheibe, die in einem Stück und in vier Etappen vor Ort betoniert wurde, musste händisch gebogen werden. Die Betonoberflächen wurden roh belassen, Spuren des Bearbeitungsprozesses blieben sichtbar und auch der feine Raster der Schalungselemente ist noch ablesbar. Trotz dieses Verzichtes auf jede Politur oder Versiegelung beeindruckt die Feinheit der Oberfläche.
Die eingangs erwähnten Assoziationen von Papier und Fels erschließen sich je nach Distanz und Blickwinkel mehr oder weniger stark. Aus der Ferne erscheint die massive, 15,5 Meter hohe und 12 Meter breite Wand fragil, wie ein riesiges zerknittertes weißes Blatt Papier. Aber es gibt auch Sichtachsen, aus denen der Anschein entsteht, das Gebäude würde aus dem dahinterliegenden Fels herausgeschoben werden. Aus der Nähe betrachtet kippt sie hingegen in eine andere Maßstäblichkeit, wirkt nicht mehr fragil, sondern massiv und kräftig. So wird die Wand von Innen wie Außen zu einer Kulisse und einer Projektionsfläche, für eine Vielzahl von Stadtbewohnern und –besuchern ebenso wie für die kleinere Einheit der Schulbenützer. Sie ist Kunst für die Öffentlichkeit im besten Sinne, die sich frei von populistischem Gestus selbst vermittelt. Der Zauber, der von Klopfs „Zerknitterter Wand“ ausstrahlt, geht mit dem poetischen Brutalismus der Architektur Wiesfleckers eine kongeniale Symbiose ein.
Text: Franziska Leeb