Karl-Heinz Klopf

Andreas Spiegl
SPLACE
Zur Ausstellung Splace von Karl-Heinz Klopf in der Galerie Stadtpark, Krems, 1996


Der Titel von Karl-Heinz Klopf’s Installation lautet Splace - eine Begriffskonstruktion, in der das Wort SPACE mit dem Wort PLACE phonetisch und optisch miteinander verwoben wird. Diese Verknüpfung von Ort und Raum markiert aber nicht nur eine topographische Lokalisierung, also den Versuch, einen Ort immer nur in einem Raum zu denken, sondern sie deutet auch auf die Frage der Lokalisierung des Persönlichen. Anders formuliert: Inwieweit orientiert sich unsere Selbstwahrnehmung und unser Selbstverständnis an den Kategorien von Ort und Raum. Nicht zuletzt werden wir auch im juristischen Sinne als Personen nur über unseren Namen, unseren Geburts- und Wohnort sowie über unsere Nationalität, also unseren nationalen Zugehörigkeitsraum definiert. Eine weitere Differenzierungsebene liegt, innerhalb dieses Rasters in der Unterscheidung von Privatheit und Öffentlichkeit. Die Straße etwa und die Untergrundbahn erscheinen öffentlich, weil wir sie mit anderen teilen, die Wohnung dagegen gibt sich privat. Wollten wir eine Stadt beschreiben, könnten wir ein quasi binäres System anlegen und zwischen den Kategorien des Privaten und Öffentlichen unterscheiden - allerdings nur europäisch gedacht. Denken wir an alte japanische Architekturen mit ihren Papierwänden, so war diese Privatheit bei weitem nicht gegeben. Wo die visuelle Verborgenheit Privatheit suggerierte, blieb die akustische Ebene als soziales Kontrollorgan erhalten. Denken wir an eine Glasfront wie hier in der Galerie, so vermittelt sie rein visuell eine Kommunikation von Außenraum und Innenraum, sperrt sich aber der akustischen Unterhaltung. In diesem Sinne operiert die Glaswand wie eine sinnlich konvertierte Papierwand: Was dem Auge dort vorenthalten bleibt, ist hier dem Ohr nicht zugänglich. Das Medium der Privatheit wäre dort das Auge, hier ist es das Gehör. Wenn wir Privatheit in dieser Hinsicht definieren wollten, könnten wir sie als Grenzbegriff beschreiben. Privatheit impliziert Grenzziehungen und wiederholt auf diese Weise die Differenz zwischen einem Ort und dessen Umraum. Diese Grenzziehung ist heute allerdings kaum zu leisten: Denken wir an den Einfluss von Medien, die etwa durch Fernsehen und Radio aus dem Wohnzimmer eine Art weltoffener Informationszentrale schaffen, dann verdünnt sich die Idee von Privatheit zur Isolation im öffentlichen Raum. Wenn Klopf zwei Monitore installiert, die sich einerseits dem Innenraum und anderseits dem Außenraum zuwenden, dann verdampft die trennende Glaswand zur imaginären Grenze. Über die Außeninstallation des Tons wird selbst die akustische Grenze brüchig. Das Glas zerbröselt quasi zu Papier. Der lnformationsfluss ist Innen wie Außen der selbe; der Unterschied zwischen dem Passanten auf der Straße und dem Besucher der Galerie ein imaginärer. Wo der Vorhang noch die Möglichkeit einer Grenzziehung suggeriert und Privatheit assoziieren lässt, wo der gelbe Sacco mit seiner Anpassungsfähigkeit an individuelle Körperlichkeit noch Subjektivität und Wohnzimmeratmosphäre zu vermitteln mag, hat der reale Raum in seiner institutionellen Nutzung diese Grenzen schon längst absorbiert. Der singuläre Besucher agiert als öffentliches Publikum. Privatheit ist nur mehr ein anderes Bild für Öffentlichkeit, man könnte auch sagen: ihr schlechtes Gewissen.
Aus rein statistischen Gründen erscheint es klar, dass sich diese Probleme privater Grenzziehungen in einer Stadt noch zusätzlich erschweren. Je mehr Menschen auf einem zunehmend sich verdichtenden Gebiet zusammen kommen, um dort zu wohnen, zu arbeiten, sich zu vergnügen, etc., desto unwahrscheinlicher gestaltet
sich der Anspruch auf Privatheit. Gerade Tokyo mit mehreren Millionen Einwohnern, die sich auf dichtestem Gebiet zusammendrängen, kann für diese Problematik als signifikantes Beispiel herangezogen werden.

Das Video zeigt Karl Heinz Klopfs Auseinandersetzung mit diesem Thema: Die Motive sind Tokyo und seine Menschen, die darin leben. Ohne jetzt den Inhalt des Videos schildern zu wollen, will ich doch auf seine Struktur hinweisen, die bereits sehr viel vermitteln kann:
Grob lässt es sich in eine Bild- und in eine Tonebene teilen: Die Bildebene zeigt Tokyo ausschnitthaft, als dynamisches Panorama, als Detail, als architektonisches Spektakel. Bezogen auf die Architektur sei nur hinzugefügt, dass Klopf eine Architekturgeschichte von 30 Jahren in chronologischer Reihenfolge an uns vorüberziehen lässt: Für die Geschichte einer Stadt sind ja 30 Jahre üblicherweise nur ein Bruchteil seiner historischen Substanz. In Tokyo mit seiner rasend beschleunigten Evolution bedeuten diese 30 Jahre allerdings eine knappe Ewigkeit: Der - um mit dem Beschleunigungstheoretiker Hermann Lübbe zu sprechen: änderungstempobedingte Vertrautheitsschwund absorbiert Geschichte in unglaublicher Geschwindigkeit. Mit zunehmender Geschwindigkeit werden uns die eigenen Städte durch ihre Veränderung unbekannt.
Für unsere Vorstellung von Privatheit und Subjektivität ist ja auch der Ort als geschichtsmächtige Instanz eine maßgebliche Kategorie. Wenn Klopf in seinem Titel auf den PLACE anspielt, dann steckt auch die Frage darin: Wie gelingt es mir eine Vorstellung von Subjektivität herzustellen oder aufrechtzuerhalten, wenn die Orte als markante Erinnerungsstützen sukzessive und beschleunigt von der urbanen Entwicklung aufgesogen werden und verschwinden? Wie agiert man als Subjekt, das absolut in die Gegenwart katapultiert wird und sich nur vor dieser unentwegt beweisen muss.
Die zweite Ebene antwortet darauf: Auf einer Tonebene hat Klopf unterschiedliche Leute interviewt, wie sie Tokyo erleben, erfahren haben, kennen gelernt haben oder sich darin bewegen. Die subjektive Interpretationsschiene begleitet die visuelle Interpretation der Stadt kontinuierlich und autonom. Das Verhältnis der Stimmen zu den Bildern bleibt äußerlich, wenn man so will: entfremdet.
Eine markante und zugleich metaphorische Rolle spielt dabei das Check-In, das eine Szene im Video jeweils von der nächsten trennt oder eben verbindet: Die stete Passage durch eine Kontrollstelle, wo die Passanten ihre Karte einführen müssen, um durch zu können. Metaphorisch wird dieser Akt dadurch, als er immer nur einzelne Personen auf ihren individuellen Wegen zeigt, die sie aber nur fortsetzen können, wenn sie die Instanz der Kontrollstelle passieren.
Privatheit sieht sich stets mit öffentlichen Strukturen konfrontiert; sie kann sich nur in diesen organisieren. Ein Ausweg liegt nicht zuletzt in medialen Räumen, in einer virtuellen Realität, die dem Stadtpassanten auf Schritt und Tritt in Form von Fernsehspots oder Videoprojektionen, Spielautomaten und dergleichen angeboten wird. Das verdichtete reale Panorama wird durch ein noch schnelleres, virtuelles erweitert. Der begrenzte Ort, sei es nun Warteraum, Bahnsteig, Empfangsraum oder Café, wird medial zum Raum, d.h. zum SPACE umgebogen. Privatheit bleibt im öffentlich durchwirkten Raum allein der Beschreibung vorbehalten, mit diesem Problem individuell umzugehen oder diesen eben virtuell zu verlassen.

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