Rike Frank
EXPAND
Zur Ausstellung Expand, Galerie Grita Insam, 19. Oktober – 22. November 2000
Der Countdown läuft. Die Kamera durchfährt verschiedene Ebenen eines architektonischen Gerüstes, Simulationen von Wänden und Gängen entstehen, eine Struktur von schwarzen Linien auf weissem Grund. Fragil und temporär skizziert, um im nächsten Augenblick von einer anderen Perspektive ersetzt zu werden, markieren die Linien dennoch klar Koordinaten, die dreidimensionale Räume entwerfen. Doch die Bewegung der Kamera beschreibt keinen homogenen Kubus, das Bild des Ortes bleibt in der Rezeption fragmentiert und entzieht sich immer wieder der Verortung einer Einheit. Mit jeder weiteren Ebene, signalisiert durch den eingeblendeten Timecode, wird die Kamerafahrt perspektivisch komplexer und bietet wie in einem Videospiel immer neue Optionen und Verzweigungen. Der Ausgangspunkt, ein horizontaler Grundriss, transformiert zu einem multiplen Raum-Riss. Von Zeit zu Zeit erscheinen Auszüge aus email Botschaften, die sich über das architektonische Gerüst schreiben. Die Nachrichten, deren Sender unerwähnt bleiben, berichten auf unterschiedlichste Weise von Städten gleich kommunizierbaren Spuren der jeweiligen (Arbeits)Pfade, der (Selbst)Verortung und des (Netzwerk)Austausches. „00:00:00“, die Zeit des Videos läuft ab, die Raumlinien lösen sich auf, dann folgt die letzte Nachricht, außerhalb einer visualisierten Zeit und Örtlichkeit: „Due to a computer crash I lost your cities list. Can you send it again?“
Studio (Computeranimierter Film, 8min, 2000) entstand in einer Zeit als die KünstlerInnen Karl-Heinz Klopf und Sigrid Kurz örtlich an die Umgebung ihres Wiener Studios gebunden waren und bildet zugleich den "Einstieg" in die Ausstellung Expand. Durch die Platzierung der Projektion am Eingang zum Hauptraum kommt es zu einer Verknüpfung von digitalem Raum und begehbarem Ausstellungssetting, von Atelier und Galerie, individuellem künstlerischen Schaffen und kooperativen Netzwerken, welche auch die Überlegung mitformuliert: wo und wie artikulieren sich heute künstlerische Praktiken und Produktionsprozesse?
expand arbeitet mit einem erweiterten Kunstbegriff, mit verschiedenen Größen und Formaten, Medien und Bildverständnissen, die in der Ausstellung in Form einer zeitlich und räumlich „ausgedehnten“ Struktur ineinandergreifen. Es ist der Versuch, in einem klaren architektonischen Aufbau unterschiedlichste Perspektiven auf die eigene Arbeit, Verbindungen zwischen zwei KünstlerInnenpositionen sowie vielfältige, parallele Orte der künstlerischen Artikulation einzuführen.
Im Hauptraum der Galerie greifen drei aufeinanderfolgende, freistehende Wandelemente das Motiv der Ebenen aus der Computeranimation wieder auf. Ihre Vorderseiten zeigen grossflächige, von Fotografien übertragene und abstrahierte Schwarz-Weiss-Zeichnungen von Personen mit medialen Artefakten, die wie Ikons oder einzelne Kader eines Films wirken und aufgrund ihrer Größe das Bildhafte zu verlassen scheinen, um zum architektonischen Objekt und Gerüst der Narration zu werden.
Die drei Wandmodule tragen die Titel Splaces, Issues und Words und entstammen dem Netzprojekt expand.at, das die KünstlerInnen parallel zu Studio (1999/2000) entwickelten gleich einer weiteren Visualisierung, Ausweitung und Externalisierung ihres Arbeits- und Interessen-„Gerüstes“. So bildet Splaces (eine Zusammensetzung von „space“ und „place“) im Netz das Zugangsikon für optionale Reisen durch (Stadt)Architekturen anhand von Videostills früherer Arbeiten Karl-Heinz Klopfs zu Formen und Artefakten elektronischer Kommunikation und des Urbanen, während Sigrid Kurz unter Issues ihr seit 1997 in loser Folge entstehendes „Editing-Projekt“ präsentiert, Hefte mit „Notizen“ zu Film, Kunst und Handlungsräumen, die wie hier ihre Verbreitung ausserhalb etablierter Distributionswege finden. Words dient als Plattform für Interviews und Texte assoziierter KünstlerInnen, UrbanistInnen, TheoretikerInnen und KuratorInnen, deren Texte und Projekte die Linien von Klopf/Kurz weiterverzweigen.
Von Anfang an verfolgten Karl-Heinz Klopf und Sigrid Kurz den Gedanken, das Netzprojekt auch in andere Formate und Medien – in eine Publikation, in den Ausstellungsraum – zu übersetzen. So ist der Computer als Zugangsoberfläche zu expand.at hinter dem letzten Wandmodul mit dem Logo Words Teil aber nicht Ausgangspunkt der Ausstellung. Die graphischen und konzeptionellen Verweise auf das Netzprojekt – in Form der drei Ikons und des Wandtextes „and“ am Ende des Raums – thematisieren wie auch Studio – das fragmentierte, vernetzte Atelier – das Prinzip der Ebenen, der Unabgeschlossenheit (von Architekturen/Prozessen) und visualisieren als begehbares Setting eine Schnittmenge zwischen prozessualen künstlerischen Produktionen, Rezeptionszugängen und Galerienmarkt/Produkt und Verkauf. So formuliert Expand, vor allem auch in Kombination mit den Zeichnungen, Fotografien und einem Architekurmodell, eine Steigerung der Komplexität der Referenzen und ihrer Interdependenz, wie wir sie in unseren mediatisierten Umgebungen vorfinden.
Die Farbfotografien von Sigrid Kurz, die sie auch in Issues publiziert, zeigen technisierte, atmosphärisch ungeklärte Orte und ihre ProtagonistInnen: ein Basketballplatz im öffentlichen Raum (Spielfeld, 1999) ein Paar auf einem Sofa in einem von Kunstlicht durchfluteten Raum (Homebase, 2000), Handlungen einer Frau vor Equipmentarchitekturen (Videoarchiv (1) und (2), 2000). Sie sind Teil ihrer langjährigen Auseinandersetzung mit „Spielräumen“, den Optionen von Handlungsräumen. In den Zeichnungen von Karl-Heinz Klopf, abstrahierten Darstellungen und Kompositionen von Bewegung, Raum und Medienkultur, tauchen die Motive des Ateliers und der email Botschaften wieder auf: strukturelle Veränderungen in der Kommunikation wie der Moment des Ein/Ausstiegs mithilfe von Plastikkarten in Information “Out of Site” (1999), platziert am Ausgang der Galerie.
Erschienen in: Camera Austria 73/2001.