Karl-Heinz Klopf
ENVIRONMENTS AT DISC SITE
Vortragsperformance im Rahmen der Videoinstallation Environments at Disc Site auf der 4. Biennale für Medien und Architektur Graz , 25.11.1999
Man spürt, dass sich unsere Lebensumgebungen in rascher Veränderung befindet und sich diese Veränderungen zusätzlich beschleunigen. Was ist der Grund dafür?
Der Computer schließt mit dessen Möglichkeiten fast alle Bereiche des Lebens ein. Im Zentrum dieser Bereiche steht das Verhältnis zu Ort, Raum und Zeit. Mein Interesse liegt in den Veränderungen der räumlichen Umgebung. Raum wird immer mehr urbaner Raum.
Das dichter werdende Gewebe und die Zunahme der unterschiedlichsten Operationen, die die Funktionalität des Lebenssystems aufrecht erhalten, bewirkt die Ausdehnung urbaner Strukturen bis in das abgelegenste Bewusstsein. Diese Durchdringung des Alltagslebens mit neuen Substanzen von Räumlichkeit erzeugen vorher nicht gekannte und auch schwer fassbare, ambivalente Konditionen, die wir empfinden, fragmentarisch wahrnehmen, aber noch schwer begrifflich erfassen können.
Es gibt aber immer neue, sichtbare Signale dieses Wandels. Für mich liegen die interessantesten in der Gestalt der gebauten Umgebung, in der Form wie wir uns einrichten. Symptome des Designs, der Architektur und der Entwicklung der Städte.
Man denke an die Stadtutopien, die eigentlich immer wieder von den neuesten technischen Errungenschaften und gesellschaftlichen Gegebenheiten weitergetrieben wurden. Für Architekten war und ist es der große Reiz, die Grenzen der möglichen Lebensformen auszuloten und daraus physische Gestalt zu kreieren. In diesem Zusammenhang möchte ich zuerst kurz Beispiele aus der Zeit vor dem Auftreten des Computers, aus den 1950er und 1960er Jahren, erwähnen. Projekte, die aber bereits die Vorstellung von Dichte, Überlagerung, Geschwindigkeit, Vernetzung, Nomadismus, Hyperstruktur, etc. beinhalten.
New Babylon von Constant Nieuwenhuys ist ein visionäres Projekt einer Stadt für die Zukunft in dem soziales Leben in ein architektonisches Spiel transformiert wurde. Ein riesiges Netzwerk aus einem Geflecht vielschichtiger Räume breitet sich immer weiter aus, bis es möglicherweise den gesamten Planeten überspannt.
Die Archigram-Gruppe wiederum begeisterte mit architektonischen und städtebaulichen Entwürfen, wie Plug-In City oder Walking City, Versuche, die Welt in technologische Utopie darzustellen, die durch Interaktionen von Mensch und seinem mechanischen Ambiente und Objekten entsteht. Das Projekt Computer City aus 1964 von Dennis Crompton weist aber schon den Ansatz von Strukturen eines Netzwerkes auf, das dem Nervensystem ähnelt.
In den 80ger Jahren, in der immer mehr Fernsehkanäle verfügbar werden, Personal Computer Eingang in Büros und Haushalte finden, und die Infrastruktur des Internets ausgebaut wird, entwickelt der japanische Architekt Toyo Ito seine Projekte, die er von den Phänomenen der elektronischen Welt ableitet. In seinem Aufsatz Ein Garten der Mikrochips stellt er in anschaulicher Form den Übergang von der objektgebundenen, mechanischen Stadt zur Stadt aus elektronischen Objekten, Informationen, Datenströmen, etc. dar, in der jeglicher kausale Bezug zwischen Form und Funktion fehlt.
Ito versucht im Feld elektronischer Strömungen einen Wirbel entstehen zu lassen um einen Raum zu schaffen, dessen Geist den einstigen genius loci zu ersetzen vermag.
Ito’s Freund und Kollege Rem Koolhaas hat sich immer mehr von der Omnipräsenz und der Überbewertung der Architektur verabschiedet und das Bewußtsein auf die Entwicklung der Städte konzentriert. Den „neue Urbanismus“ bezeichnet er als eine Neugestaltung des psychologischen Raums. Denn, so Koolhaas, da das Urbane mittlerweile alles durchdringt, und dadurch sich jeder Kontrolle entzieht, wird das Urbane über kurz oder lang zu einem wesentlichen Träger der Phantasie werden.
Das was Stadt ausmacht: Überlagerungen, Dichte von Ereignissen, Komplexität, Crossings, Feedback-Mechanismen etc. findet in den elektronischen Medien und digitalen Environments seine nahtlose Erweiterung. Immer mehr Menschen verbringen immer mehr Zeit in vernetzten Umgebungen und leben darin ihre Notwendigkeiten und Bedürfnisse aus. Arbeit findet immer mehr in Online-Kollaborationen und -Interaktionen statt.
Aus den physischen und virtuellen Environments entsteht ein immer enger verwobenes, dynamisches Konglomerat verschiedener Raumsubstanzen, die neue Sprach-, Verhaltens- und Lebensformen bewirken und zu einer neuen Begrifflichkeit des Urbanen führen.
Ein wichtiger persönlicher Impuls in Bezug auf Stadt- und Netzerfahrung war 1995/96 mein halbjähriger Aufenthalt in Tokio, wo fast kein Tag verging, ohne nicht mehrmals online gewesen zu sein.
Ich arbeitete damals an einem Videoprojekt über die Räume dieser Stadt, in dem individuelle Raumerfahrungen der Präsenz des gebauten Umfeldes gegenübergestellt und verflochten sind. Der Film handelt von gebauten und individuell projizierten Räumen, außerdem von Zwischenräumen, die alle miteinander dialogisieren.
Die physische Präsenz in Tokio, meine dortigen Recherchen über die Stadt und die täglichen Interaktionen im digitalen Environment bildeten eine elementare Grundlage für die Videoarbeit mit dem Titel Environments, die hier zu sehen ist und Teil dieser Installation at Disc Site darstellt.
Das Konzept für Environments entwickelte sich aus der Vorstellung, Bedingungen von physischen und digitalen Environments in verschiedenen Städten und Kulturräumen darzustellen.
Im Unterschied zum Tokio-Projekt geht es hier um die Vielzahl und Unterschiedlichkeit von Stadträumen und Orten, und gleichzeitig um den Zugang zur globalen Umgebung und den Interfaces der digitalen Netzwerke.
Die beiden, substanziell unterschiedlichen Räume entsprechen im Film der klar getrennten Zuordnung in die Video- und in die Audio-Ebene: Die Videoeben zeigt Ausschnitte aus verschiedenen Städten, wie Bangalore, Berlin, Bombay, New York, Hamburg, Hong Kong, Tokio, u. A.
Simultan dazu werden in der Audio-Ebene des Videos die digitalen Environments von Netzteilnehmern repräsentiert, die in Form von Erfahrungsberichten, Statements und Episoden über ihren Alltag im Netz berichten.
Der Raum des Netzes wird auf diese weise gleichzeitig ein individualisierter Raum, der durch die Unmittelbarkeit der persönlichen Projektionen lebendig wird.
Das durch die überlagerten Räume geschaffenes Spannungsfeld erzeugt ein undefiniertes Vakuum, in dem die Phantasie des Betrachters vordringen kann. Es erzeugt eine Atmosphäre, in der man Möglichkeiten zukünftiger Environments erdenken kann.
Es war mir wichtig, dass ich all diese Städte physisch besucht und erfahren habe, und wo ich mit den Leuten die Interviews führte. Die Konzentration auf die Stadt durch den Blick der Kamera, und parallel dazu die Gespräche über Netzerfahrungen, war selbst ein ambivalenter Prozess und hat großen Reiz ausgeübt.
Interessant sind auch die unterschiedlichen Zugänge und Statements in den verschiedenen Regionen, die nur beispielhaft sein können und keinerlei Anspruch auf eine umfassende Darstellung haben.
In dem Video ist nur ein kleiner Teil davon zu hören, jeweils auf einige Passagen reduziert und ineinander verflochten sind. Man wird sozusagen von Stadt zu Stadt und von Geschichte zu Geschichte in alle Richtungen „gebeamt“. Dieser Aufbau, der ja in einem Film immer linear fixiert ist, entspricht jedoch am ehesten der Vorstellung des Hin und Her’s und dem hüpfen von Site zu Site und zwischen verschiedenen Anwendungen innerhalb einer Netzstruktur. Auch der Sprung von einem Statement zur nächsten Episode und dann wieder zurück zur Fortsetzung einer unterbrochenen Geschichte und bereits besuchten Ortes, das entspricht auch der assoziativen Natur einer Netzreise, bei der man ja aus Interesse Links anklickt. Links, die einem an einen anderen Ort als Folge des gerade besuchten Ortes bringen.
Wie sich diese verschiedenen Zugänge im Kontext der jeweiligen Stadt und des jeweiligen Kulturraumes charakterisieren, möchte ich hier nicht im Weiteren ausführen, sondern Ihrer Aufmerksamkeit überlassen.