DENCITY
Hans Ulrich Obrist im Gespräch mit Karl-Heinz Klopf
KHK: Hier sind die ersten Seiten des Layouts, damit Du siehst, wie die Publikation aufgebaut sein wird. Es sind Textfragmente aus den Interviews, die ineinander verflochten sind. Jedes Textfragment hat eine eigene Seite, so dass der Teil aus dem Zusammenhang genommen ist und sich eine neue Rezeptionsebene bilden kann. Am oberen Rand jeder Seite steht die zeitliche Position und Dauer des Textclips im Video. Man kann nachvollziehen, wann der jeweilige Ausschnitt aus den Interviews im Film vorkommt. Zwischen den Texten werden in unregelmässiger Folge Standbilder aus dem Video abgebildet.
HUO: Das ist ein guter Anfang für das Gespräch, dass man ein Interview macht über die Interviews. Dass ist eigentlich wie eine Inversion, dass man Dich befragt, nachdem Du diese ganzen Urbanisten, Architekten und Netzspezialisten in Asien und auch anderswo über extreme urbane Konditionen, über Medien, Architektur, etc. inteviewt hast. Vielleicht könnte man damit beginnen, dass Du im Interview einmal über die Interviews redest, und wie das begonnen hat, und weshalb die Interviewtechnik, und ob es da irgend ein auslösendes Moment gab ...
KHK: Der Ausgangspunkt war die Idee, den gebauten Städten Räume gegenüberzustellen, die aus den digitalen Netzwerken heraus entstehen, wie das Internet, weil dieses am weitesten verbreitet ist. Da habe ich überlegt, wie ich das am besten mache, um auch nicht in Klischees hineinzurutschen. Ich habe gedacht, es wäre am interessantesten, Leute zu befragen, die in verschiedenen Städten leben und viel mit der Schnittstelle Computer und den Netzwerken arbeiten. Die Interviewsituation ist dafür also am naheliegendsten erschienen.
Es hat damit angefangen, dass ich in Wien zu public netbase gegangen bin, wo ich selbst ein Account habe, und habe dort zuerst die Kids befragt, die dort täglich im Netz unterwegs sind, wie sie es benützen usw. Diese Arbeit hat sich dann ausgedehnt, bin von Stadt zu Stadt gefahren, habe dort Leute getroffen, die ich teilweise empfohlen bekommen und teilweise über das Netz recherchiert habe. Parallel dazu sind die Aufnahmen in den jeweiligen Städten entstanden, also über die physische Umgebung, wo die User leben und sich täglich bewegen.
HUO: Der Besuch hat immer an dem Ort stattgefunden, wo die jeweilige Person, die interviewt wurde, auch wohnt oder arbeitet? Hat das immer an der Arbeitsstätte stattgefunden? Also ging es um so etwas wie das Atelier, das Labor, das Architekturstudio oder auch im Kaffeehaus?
KHK: Ganz unterschiedlich, wie es jede Person bevorzugte. Ich habe gefragt, wo sie am liebsten das Interview machen möchten. Das waren Ateliers, das waren Büros, das waren Wohnungen oder, wie in Tokio, und das ist signifikant für Tokio, auf einer Bank auf einem öffentlichen Platz in der Stadt. Die Künstlerin Marina Griznic war damals ein Jahr dort, und für sie war es am passendsten, wirklich einen öffentlichen Ort zu wählen.
HUO: Unser Gespräch findet hier im Kontext von Cities on the Move 4 im Louisiana Museum in Kopenhagen statt, wo Du mit dem Video teilnimmst. Die Frage, die sich herausstellt, ist der Bezug. Hier die Stadt, die Stadt in Asien und Deine Recherche zum Thema Netz. Es gibt sehr viel Literatur zu diesem Bezug, zu dieser Analogie Stadt und Netzwerk. Es gibt sehr schöne Bemerkungen von Friedrich Kittler, dass Städte nicht wie Bäume sind, und auch nicht Graphen, die man falten kann, sondern dass die grosse Stadt immer eine Form von Überlagerungen ist, eine Häufigkeit von Ereignissen, von Crossings, und eigentlich viel komplexer als das Internet ist oder sein kann. Er geht noch weiter, dass das Internet sehr oft Stadtterminologien benutzt, wie routing oder bus. Ich dachte, ob Du vielleicht zu dieser Analogie, die ja in Deiner Arbeit auftaucht, was sagen kannst?
KHK: Ja, diese Analogien und Metaphern, die im Computerjargon und in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchen, die waren ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Überlegung, so eine Arbeit zu machen.
Ein anderer Ausgangspunkt war, dass in der Architekturtheorie und in vielen Überlegungen von Architekten der Stand, der Technologie und der Stand wie man mit den neuen technischen Mitteln kommuniziert, ein ganz wesentlicher Punkt ist. Das war schon am Anfang des 20. Jahrhunderts so, dann bei Corbusier, dann zum Beispiel bei Kenzo Tange, der für die Neuplanung von Tokio 1960 solche Überlegungen angestellt hat, und bis heute dann ganz wichtig ist bei Ito, Hasegawa, Seijima und Koolhaas. Für Architekten sind diese Bezüge zu den Technologien und Medien ganz wichtig.
Was ich in dem Video mit der Überlagerung wollte, ist, dass ich diese zwei Situationen wirklich gegenüberstelle und dadurch verdichte. Die Struktur von Environments ist so aufgebaut, dass zwei getrennte Ebenen vorhanden sind: die Audio-Ebene und die Video-Ebene. Zwei Ebenen, die nur ganz wenig durchbrochen werden, mit kurzen Ausschnitten, wo man auch die Sprechenden sieht. Die Hermetik zwischen den beiden Ebenen ist damit nur manchmal perforiert. Die Perforierung ergibt für mich eine dritte Ebene. Es schwingt im Betrachter das erinnerte Bild des Sprechenden mit. In dieser Form stellen sich im Film die physisch gebaute Ebene, die Ebene der technischen Kommunikationsmittel und die mentale Ebene dar. Diese drei Ebenen wollte ich verdichten. Das hat für mich ganz stark mit Urbanität zu tun, und ich habe das Hyper-Stadt genannt. Eine Stadt, wo verschiedene Orts- und Raumsubstanzen zusammenfliessen. Nicht nur das Gebaute, sondern auch das Mentale, das ja immer mehr auch aus der urbanen Kondition hervorgerufen wird.
HUO: Hyper taucht ja jetzt in Zusammenhang mit den extremen urbanen Konditionen der neunziger Jahre in Asien und auch anderswo des öfteren auf. Rem Koolhaas hat für Bangkok ein Hyperbuilding entwickelt, das zirka einen Kilometer hoch sein soll.
KHK: Und auch schon bei Constant tritt dieser Begriff in den fünfziger und sechziger Jahren auf.
HUO: Du hast Tange erwähnt, man kann auch den Metabolismus erwähnen. Es ist auch interessant, wenn man in Europa sieht, man redet da über die Vorläufer von solchen urbanen Netzwerkideen. Ich meine die New Babylon-Arbeit von Constant, die Du erwähnt hast, ist ein Beispiel. Cedric Price, der hier jetzt auch in Cities on the Move 4 mit einer wunderbaren Stadt als Netzwerk-Zeichnung von Tokio vertreten ist. Ein ganz wichtiger Vorläufer. Was auch ganz interessant ist, ist dieses Oszillieren, was zwischen Europa und Asien stattgefunden hat, was für eine Ausstellung wie Cities on the Move sehr wichtig war. Am Anfang, die hundert Jahre Secession, waren die Secessionisten sehr stark von Japan beeinflusst. Dann gibt es eine erste japanische Secession, als erste moderne Bewegung in Japan. Das ganze Hin und Her kann man ja auch sehr stark verfolgen, wenn man mit den Architekten aus Asien in der Ausstellung redet, wie sehr sie alle Cedric Price verehren und in Ihm einen ganz wichtigen auslösenden Einfluss sehen. Einfach durch die AA und über seine ganze Idee von extremer Urbanität und den Überlegungen zur Stadt. Gleichzeitig wiederum der grosse Einfluss von Asien auf die ganze Archigram-Bewegung, wenn man Peter Cook zu Japan liest. Es ging also hin und her. Es ist nicht mehr eine Linearität, es ist auch nicht mehr diese Idee eines Einflusses von einem Ort zum anderen.
In Kopenhagen zeigen wir zum erstenmal das Koolhaas-Projekt einer Flughafenstadt und eines Flughafens im Meer vor Holland, ein Projekt, das Koolhaas als asiatisches Projekt in Europa beschreibt.
KHK: Ja, diese gegenseitige Befruchtung, das findet schon seit über hundert Jahren statt.
HUO: Und das ist ja die Idee der Ausstellung als Netzwerk, dass die Ausstellung das auslöst.
KHK: Das finde ich phantastisch, und es freut mich, dass ich mit Environments vertreten bin.
HUO: Kannst Du vielleicht dazu was sagen, in welcher Art und Weise die Computer, das Internet und E-Mail den Arbeitsprozess der Architekten und Künstler verändert?
KHK: Ich hab das Gefühl, dass es nicht nur Künstler und Architekten so geht, sondern auch Du bist für mich ein sehr gutes Beispiel, dass das Computernetz eine ganz wichtige Voraussetzung geworden ist, um so arbeiten zu können, wie Du jetzt arbeitest. Vor zehn Jahren wäre vielleicht so eine Ausstellung in dieser Form gar nicht möglich gewesen, die in so kurzen Abständen wandert, verändert und immer wieder aktualisiert wird. Und so entstehen auch Gebäude in kurzer Zeit und verändern sich, deren Prozess oft aus grossen Entfernungen beaufsichtigt wird. Sowohl in der Kunst als auch in der Architektur haben sich die Entwicklungsphasen beschleunigt. Was auch dazu kommt, ist, dass man viel einfacher in andere Bereiche andocken kann, was wir gestern auch diskutiert haben, dass man dadurch mehr und mehr mit anderen Disziplinen kooperiert, neue Crossings entstehen und sich das Netzwerk dadurch wiederum verdichtet.
HUO: Steven Johnson stellt in einem kürzlich erschienenen Artikel im Feed Magazin (www.feedmag.com/essay/es137_master.html) fest, dass es heute eine Beziehung zwischen der Stadt und den Neurowissenschaften gibt. Die Stadtmetapher kann bis zur Rolle positiver Feed-back-Kreisläufe beim Lernen erweitert werden, was impliziert, dass die Grundlage des Lernens in der Wiederholung von neuralen Kreisen liegt.
Stellst Du Deine Themen in Beziehung zur Wissenschaft?
KHK: Mein Ansatz liegt in der Reflexion von Raumerfahrungen in gebauten Umgebungen. Wie wird gebaut, wie funktioniert dieses Gebaute, und wie richten wir uns darin ein. Der Raum, den ich zu beschreiben versuche, setzt sich aus vielen Verbindungen, Bezügen und Überlagerungen zusammen. Es sind räumliche Komplexe, die verflochten sind und interagieren. So zum Beispiel die mentalen Räume, wie Erinnerungen, die sich wesentlich aus Erfahrungen in der physischen Umgebung bilden. Dann die technischen und gleichzeitig die globalen Netzräume, an die wiederum unendlich viele Subnetze angebunden sind. Und alle sind gleichzeitig aktiv. Stellt man sich das vor, dann entsteht ein Bild unendlich vieler Operationen, die den Feed-back-Kreisläufen neuronaler Systeme sehr ähnlich sind.
Aber zunächst interessieren mich die Strukturen der erlebbaren Stadträume, der Informationsräume, der Kommunikationsräume, wie diese durch verschiedene Mittel erzeugt werden und wie sie aussehen. Dieses Material finde ich in den Städten und besonders in den ganz grossen Städten. Es reizt mich, diese Dichte darzustellen und damit vielleicht neue Blicke herauszufiltern.
HUO: Wie ist die Idee eines Buches zu Deinen Recherchen entstanden?
Weshalb kein Videokatalog oder Website?
KHK: Ich habe vierzig Interviews gemacht und insgesamt fünfzig Stunden Videomaterial aufgenommen. Die 86 Minuten des Videos sind das Extrakt aus diesem Material. Darin liegt so viel Information, dass ich noch eine andere Zugangsform zu den Inhalten interessant finde, bei der man wieder auf ganz andere Weise an das Thema herangeführt wird und man auch neue Bezüge finden kann. Ein Buch ist eine Form, die ohne eine technische Schnittstelle auskommt. Man ist un-wired und damit mobil. Beim Unterwegs-Sein ein Buch dabei zu haben, im Flugzeug über die Stadträume zu lesen, das ist für mich ein schönes Erlebnis. Ein Buch kann auch Hinweise geben, die im Video nicht angebracht und möglich waren. Man kann darin blättern, sozusagen durch die Standbilder und Texte aus dem Video navigieren. Es ist eine Form, die zu diesem Thema auch sehr entsprechend ist.
HUO: Wie haben die Interviewten reagiert?
KHK: Es war eine sehr positive Erfahrung. Die meisten habe ich per E-Mail kontaktiert und über mein Vorhaben informiert. Die Gespräche vor Ort waren dann auch sehr unkompliziert. Nur mit Ravi Sundaram hat es zuerst in Delhi nicht geklappt. Er hat das Flugzeug in New York verpasst und ist dadurch erst nach meiner Abreise nach Hong Kong in Delhi angekommen. Einige Wochen später kam er nach Österreich, und so konnte ich mit Ihm das Interview führen. Im Video sind es jedoch die indischen Städte, die zu Ravis Erläuterungen zu sehen sind.
Durch das Zusammentreffen mit den vielen Menschen, für die der Umgang mit Computernetzen Alltäglichkeit geworden ist, hat sich auch für mich mein Arbeitsfeld erweitert. Es ist eine weitere Erfahrung, wie man in der künstlerischen Arbeit neue Bereiche ausloten und Kooperationen ermöglichen kann. Für viele, an die ich herangetreten bin, war es eine Neuigkeit, dass Künstlerinnen und Künstler in dieser Form arbeiten.
HUO: Gibt es nicht realisierte Interviews?
KHK: Ich hätte auch gern Menschen getroffen, die das Netz noch ganz anders benutzen, mit denen es aber nicht geklappt hat. So zum Beispiel mit der Programmiererin, Extropistin und WWW-Exhibitionistin Romana Machado (www.fqa.com/~romana) aus Silicon Valley oder Jennifer Ringley (jennicam.org), der Frau mit der Online-Kamera in ihrer Wohnung, die es allen in der Welt erlaubt, ihren Alltag mitzuerleben.
Den Anspruch, ein vollständiges Bild der Netzbewohner darzustellen, habe ich nie angestrebt und wäre auch nicht möglich.
HUO: Kannst Du mir als Abschluss dieses Gespräches etwas erzählen, dass Du vorher noch nie erzählt hast?
KHK: Diese Videoarbeit ist als Schnitt durch einen bestimmten Zeitraum zu einem bestimmten Thema zu sehen. Die Interviews sind von November 1997 bis Mai 1998 entstanden. Es sind Momente, die Aspekte der erweiterten urbanen Konditionen zeigen. Schon in diesen paar Monaten, in denen ich so viele Statements und Geschichten über das Netz gehört habe, ist mir aufgefallen, wie sich das, wie darüber gedacht und gesprochen wird, verändert. Gleichzeitig sind auch immer wieder Dinge zu hören, die man längst schon anders sieht, oder die man nicht mehr hören kann, zum Beispiel wenn von der Gleichheit der Bedingungen gesprochen wird. Davon kann aber noch lange nicht und wahrscheinlich niemals die Rede sein. Ich habe jedoch auch solche Positionen hineingenommen, weil es mir ja nicht nur um das Aufzeichnen einer Netzraumstruktur geht, sondern um einen erweiterten Begriff des Urbanen, wie er durch die Computernetzwerke entsteht. Es interessieren mich die Ambivalenzen, wie sich Räume bilden, wie neue Zwischenräume entstehen, wie Informations- und Kommunikationsformen aussehen und welche Dimensionen diese Phänomene haben. Die Umgebung, in der sich viele von uns bewegen, hat sich explosionsartig erweitert.
Humlebaek, Jänner 1999
Erschienen in: Karl-Heinz Klopf – Environments. Triton Verlag, Wien, 1999.