WAWEL
2001
O.K Centrum für Gegenwartskunst, Linz
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Der von Adam Budak kuratierten Ausstellung mit polnischen und österreichischen Künstlern ging ein zehntägiger Arbeitsaufenthalt in Krakau voraus. Das dortige von Arata Isozaki entworfene japanische Kulturinstitut liegt an der Weichsel, genau gegenüber dem Wawel, einem nationalen Symbol und der bedeutendsten Schlossanlage Polens. Während des Aufenthaltes des Künstlers in Krakau zeigte das Kulturinstitut eine Ausstellung über japanische Mangas und Animationen. Viele dieser märchenhaften Bildgeschichten ergaben nahtlose Überschneidungen mit dem polnischen Schloss und seinen Legenden. Diese Situation bildete den Ausgangspunkt für das Projekt Wawel. Das Hauptbild wurde durch Interviews mit drei Bewohnerinnen der Stadt ergänzt: Dabei spricht eine in Krakau lebende Japanerin polnisch; zwei junge polnische Frauen in deutscher und englischer Sprache. In den Interviews reflektieren sie ihre Position und äußern sich über den kulturellen, ideologischen und nationalen Wert des Schlosses Wawel.
(Wawel, 2001; Installation: 4-Kanal Videoinstallation, 3 Monitore, 1 Projektor, 3 Kopfhörer, Kartonage; Ausstellung Re-Location, O.K Centrum für Gegenwartskunst, Linz, 7. April–15. Juli 2001)
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PAST (PERFECT) CITY OF FRAGMENTS AND LAYERS
Adam Budak zur Videoinstallation Wawel von Karl-Heinz Klopf im O.K Centrum für Gegenwartskunst, 2001
Karl-Heinz Klopf realisierte die Video-Installation Wawel während seines Aufenthalts in Krakau. Diese Arbeit bezieht sich auf die reiche Geschichte und Tradition von Krakau, einer Stadt, die für die nationale Identität Polens von besonderer Bedeutung ist. Die frühere Hauptstadt gilt nach wie vor als intellektuelles und kulturelles Zentrum Polens. Klopfs Arbeit zielt darauf, die Vergangenheit der Gegenwart, das Lokale dem Kosmopolitischen und das Innere (einer Tradition und einer Geschichte) dem Äußeren (der Präsenz des kulturellen Anderen) gegenüberzustellen, indem er drei Bilder sich überschneiden lässt:
Das erste, das für den nationalen Aspekt am entscheidendsten ist, ist das die Identität symbolisierende Logo – das königliche Schloss Wawel mit seiner Architektur aus der Zeit des Mittelalters und der Renaissance. Es überschneidet sich mit dem zweiten, sehr außergewöhnlichen Bild: dem Manggha-Zentrum für japanische Kultur und Technologie (überraschenderweise ein Teil des Nationalmuseums) des Architekten Arata Isozaki, das einzige Beispiel postmoderner Architektur in dieser konservativen Stadt, ein Anhängsel an das nationale kulturelle Erbe Krakaus. Die Reibung (oder Komplementarität) dieser beiden Bauten wird durch ein weiteres Bild verstärkt: ein Strom von Menschen, die auf einem Weg spazieren gehen, der am Schloss vorbei führt und dabei dem Lauf der Weichsel folgt. Die Weichsel ist ebenfalls ein nationales Symbol: ein Fluss, der durch das ganze Land fließt. Die Spaziergänger scheinen von der Monumentalität der Symbole dominiert zu werden, und die schichtweise Konstruktion der Bilder verzerrt den Maßstab und verwandelt die Menge in ein mosaikartiges Ornament. Die Oberfläche des Flusses reflektiert diese beiden Bilder und lässt sie gleichzeitig ineinander verschmelzen. Sie verbindet und begrenzt gleichzeitig Raum und Zeit.
Das Bild verdichtet sich noch mehr, denn es wird in einen zweifachen Zusammenhang gestellt. Es ist nicht nur die Architektur, die als ein wichtiges Zeichen fungiert, sondern es gibt eine aktuellere Referenz, die mit einem zusätzlichen Set an Werkzeugen kultureller Differenz aufgeladen ist, nämlich die im Moment laufende Ausstellung im Manggha-Zentrum, die sich mit einem sehr populären Phänomen der japanischen Kultur beschäftigt, den Manga-Cartoons. In Karl-Heinz Klopfs Installation scheint es, als würden farbenprächtige Stills aus solchen Mangas auf die Oberfläche der Glaswände des Manggha-Zentrums projiziert. Die Transparenz ist gestört, als ob auch hier einer tiefenlosen Oberfläche ein Volumen beigefügt worden wäre. Aus der Gegenüberstellung dynamischer, animierter Bilder und der Festigkeit der historischen Bedeutung des Wawel ergibt sich eine ungewöhnliche Oberflächenspannung.
Das Hauptbild wird von Interviews mit drei Mädchen ergänzt, die eine gewisse Beziehung zur Stadt Krakau haben: Eine Japanerin, die ständig in Krakau lebt, erzählt in fließendem Polnisch ihre Version von der Bedeutung des Schlosses, während zwei polnische Mädchen, die in Deutsch und Englisch interviewt werden, sich mit der Rolle und dem kulturellen, ideologischen und nationalen Wert des Wawel auseinandersetzen, indem sie die individuelle und die Gruppenidentität anhand ihrer eigenen persönlichen Erfahrung konstruieren. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Zähmung des Raums, der durch persönliche Geschichten und Eindrücke an Vertrautheit gewinnt. Aber hier herrscht eine Atmosphäre der zeitlichen Beschränkung, des Übergangs, die durch Pappschachteln, die rund um die Bilder verteilt sind und den durch Leere gekennzeichneten Raum auffüllen, noch weiter verstärkt wird. Karl-Heinz Klopf ist buchstäblich „on the move“ (mit seinem Projekt), und man kann selbst einen Bestimmungsort sowie Namen eines Absenders und Empfängers in den „from“, „to“-Vordruck auf den einzelnen Schachteln eintragen, der mehr an die Kommunikationspaneele in einem Virtual Reality-Setting erinnert als an ein konventionelles Reisezubehör. Die Arbeit von Karl-Heinz Klopf beschäftigt sich in erster Linie mit dem Thema der „Relokation“ im Sinne einer Annäherung an die eigene Tradition und nationale Identität. Sie hinterfragt Identitätskomponenten und -Grenzen und schafft gleichzeitig die Plattform für einen kulturellen „Austausch“ und die Zirkulation nationaler Vokabulare. Sie ist eine weitere bzw. die nächste 'Destination' einer biografischen, sehr intimen individuellen und lokalen Färbung, in der der Raum und dessen kulturelle Darstellung zum Ausgangspunkt für eine Erinnerungsarbeit und Reflexion über Repräsentationsstrategien wird. Darüber hinaus zeigt die Beschäftigung Klopfs mit Architektur und Raum, die auf persönlicher Erfahrung beruht, eine komplexe Beziehung zwischen Körpern und Städten und deren Urbanismus. Elizabeth Grosz schlägt ein Modell vor, in dem dem Körper eine aktive Rolle in der Produktion und Transformation der Stadt zugeschrieben wird, er aber auch als isomorph angesehen wird.(1) Körper und Städte werden als Collagen, als Sammlungen von Teilen betrachtet, die imstande sind, die Schwelle zwischen Substanzen zu überschreiten, um Verbindungen und provisorische und oft temporäre Untergruppierungen zu schaffen. Verdecken und aufdecken, transformieren und einschreiben - das sind die Hauptziele des Projekts von Karl-Heinz Klopf. Die Stadt wird zum Ort der kulturellen Sättigung des Körpers, in dem er durch Bilder, Repräsentationssysteme und Massenmedien gefesselt und transformiert wird. Andererseits reinterpretiert der Körper die urbane Landschaft, er transformiert sie und dehnt ihre Grenzen bis jenseits ihrer sozialen, kulturellen und geografischen Konstruktion aus. Mit Wawel scheint Karl-Heinz Klopf seine Beschäftigung mit der imaginierten Stadt weiterzuführen, einer dieser „unsichtbaren“ Städte, wie sie Italo Calvino an Hand einer Erfahrung von Marco Polo und dessen Träumen und Wünschen, Strategien und Taktiken so genial beschreibt: „Manchmal genügt mir eine Lichtung in einer maßlosen Landschaft, ein Aufleuchten von Lichtern im Nebel, der Dialog zweier Passanten, die sich im Gedränge begegnen, mir vorzustellen, dass ich von hier Stück um Stück die vollkommene Stadt zusammensetzen werde, errichtet aus Fragmenten, die mit dem Rest vermischt sind, aus Augenblicken, die durch Intervalle getrennt sind, aus Signalen, die einer ausschickt, ohne zu wissen, wer sie empfängt. Wenn ich Dir sage, dass die Stadt der meine Reise gilt, keine Kontinuität in Raum und Zeit besitzt, einmal lockerer und einmal dichter ist, so darfst Du nicht meinen, dass man mit dem Suchen aufhören könnte. Während wir gerade sprachen, ersteht sie vielleicht verstreut in den Grenzen Deines Imperiums, du kannst sie auffinden, aber auf die Weise, die ich dir sagte.“
1 Grosz, Elizabeth „Bodies-Cities“ in „Sexuality and Space“, hrsg. von Beatriz Colomina, op. cit.
(Text erschienen in Dialog III: Re-Location, O.K Centrum für Gegenwartskunst, Linz 2001)